Was bedeutet der 10. April 1941 in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts?
An diesem Gründonnerstag des Jahres 1941 riefen kroatische Nationalisten in Zagreb den Unabhängigen Staat Kroatien aus, von der dortigen Presse als »Wiederauferstehung« eines unabhängigen Kroatien bejubelt. Zuvor hatte die Wehrmacht das 1918 entstandene Königreich Jugoslawien zerstört, und Hitler und Mussolini hatten sich auf diese Neugründung verständigt. Der dann beginnende Versuch der Ustaša, eine multiethnische Gesellschaft mit Vertreibungen und Massengewalt in einen Nationalstaat umzubilden, brachte unfassbares Leid und den Tod von Hunderttausenden.
Was war das für eine Bewegung, die mit Vertreibung und Gewalt einen ethnisch homogenen Staat schaffen wollte?
Die Vorläufer der Ustaša gab es in der österreichisch-ungarische Zeit. Für diese meist akademisch gebildeten Nationalisten war Jugoslawien serbisch dominiert und der Untergang des kroatischen Volkes. In den 1930er Jahren wurde die Bewegung militanter und terroristischer und in ihrer Rhetorik faschistischer und rassistischer, auch durch deutsche und italienische Einflüsse. Serben, Juden und Roma verkörperten für die Ustaša die Unterjochung Kroatiens durch den serbisch-jugoslawischen Staat und mussten entfernt werden. Hitler befürwortete eine »ethnische Flurbereinigung«. Die unterschiedlichen Umsetzungspläne der Ustaša mündeten in brutalster Gewalt und blutigen Massenvertreibungen. Auch anderswo auf dem europäischen Kontinent versuchten Nationalisten, aus der Verfallsmasse der Reiche der Romanovs, der Habsburger und der Ottomanen möglichst große und homogene Nationalstaaten zu bilden. Dass dieser Prozess aber in Jugoslawien besonders brutal eskalierte, lag zum einen an jugoslawische Besonderheiten, zum anderen an der Ustaša, für die Gewalt ein geheiligtes Mittel zur Erreichung eines kroatischen Staates war.
Was war das Besondere der Ustaša als faschistische Bewegung?
Die Ustaša sah sich als Teil einer europäischen faschistischen Bewegung, die gegen die Versailler Nachkriegsordnung kämpfte. Dabei war die Ustaša besessen von der Idee der Unabhängigkeit und der ethnischen Homogenität Kroatiens. Sie dachte also in kleineren Raumkategorien als die Faschisten in Italien und die Nationalsozialisten in Deutschland. Es fehlt ihr das, was Saul Friedländer den »Erlösungsantisemitismus« genannt hat, dem alle anderen politischen Ziele untergeordnet waren. Die Ustaša war völlig auf den vermeintlichen serbischen Feind ausgerichtet, und auch ihr Antisemitismus war dadurch geprägt. Und die anfänglich gute Beziehung zum italienischen Faschismus schlug aufgrund geopolitischer Konkurrenzen in offenen Hass um. Die Ustaša orientierte sich stärker an den Deutschen: Nirgendwo konkurrierte Italien stärker mit dem Deutschen Reich als im besetzten Jugoslawien.
Warum war Raum bei der Entstehung von Massengewalt im faschistischen-kroatischen Staat ein entscheidender Aspekt?
Dies war ein geographisch, kulturell und ethnographisch extrem heterogener Raum und die Menschen hatten regional sehr unterschiedliche politische Vorstellungen. Sarajevo, eine Stadt mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, in der jeder zehnte Bewohner sephardischer Jude war, war eine stark segmentierte Gesellschaft. Das Leben in den serbischen Dörfern im kargen dalmatinischen Hinterland war völlig anders. In vielen ländlichen Gegenden gab es eine lange Tradition der Opposition gegen Autoritäten, die den Widerstand gegen die Ustaša begünstigte. Kurz: Gewalttaten, die in Berlin oder Zagreb geplant wurden, nahmen vor Ort oft einen völlig unvorhergesehenen Verlauf, etwa weil die Täter vor Ort Angst hatten, in überfüllten Lagern oder unwegsamen Gebieten die Kontrolle zu verlieren.
Ihr Buch hat bereits mehrere Preise gewonnen, u.a. von der deutsch-serbischen Zikic-Stiftung, und doch gibt es neben Zuspruch auch Ablehnung, gerade von serbischer Seite. Warum?
Ich hatte mit Widerspruch kroatischer Nationalisten gerechnet; hier konnte man wissen, dass das Thema für sie unbequem sein würde. Aber als serbische Nationalisten mein Buchmanuskript in die Hände bekamen, gab es in Serbien und in Diasporakreisen Proteste, und man schickt mir wütende Emails. Ich argumentiere, dass das Konzept vom »Genozid« wenig geeignet ist, um dieses komplexe Gewaltgeschehen und die in Jugoslawien verübten Massenmorde zu untersuchen, da die Fokussierung auf Planung und Intention diesen Gewaltdynamiken nicht gerecht wird. Für die Identität gerade nationalistischer Gruppierungen ist aber die Benennung der Gewalt gegen Serben als Genozid von elementarer Bedeutung. Es gibt den nationalistischen Mythos von Serbien als dem ewigen Opfer. Überhöhte Opferzahlen sind davon ebenso Bestandteil wie ein inflationärer Gebrauch des Begriffs Genozid. Hier zeigt sich, dass das Konzept Genozid den von Gewalt betroffenen Gesellschaften oft einen Bärendienst erweist, denn es begünstigt die Konkurrenz zwischen Opfergruppen und eine Diskussion ohne Zwischentöne. Wer zum Opfer eines Genozids wurde, der kann nicht zugleich auch Gewalttaten verantwortet haben: So wird eine gesellschaftliche Aufarbeitung blockiert. Mir ging es nie darum, die Gewalt gegen Serben kleinzureden, im Gegenteil, sie steht im Zentrum meiner Studie.
Polnische Reaktionen auf den TV-Film »Unsere Mütter, unsere Väter« zeigen wie schwierig es sein kann, Gewalttaten der Verbündeten oder Feinde des NS-Staats zu thematisieren. Wie entgeht man dem Vorwurf, deutsche Verbrechen zu relativieren?
Mir ging es darum, die europäischen Dimensionen der Gewalt zu verstehen und mit dem Mythos aufzuräumen, es habe sich bei den Ustaša-Tätern um deutsche Marionetten gehandelt. An der deutschen Gesamtverantwortung der Deutschen, die mit der Zerstörung Jugoslawiens die Gewalt entfacht hatten, ändert sich dadurch nichts. Ich relativiere die Taten nicht. Die Interessen nichtdeutscher Milizen im Zweiten Weltkrieg waren ambivalent und standen oft quer zu den deutschen Vorgaben. Wer sich dafür interessiert und sich der nationalen Unterschiede und der Bedeutung der deutschen Präsenz bewusst ist, kann im Dialog mit Kollegen aus den jeweiligen Ländern die Gewaltgeschichte unserer östlichen Nachbarländer erforschen.
Welche Konsequenzen könnte Ihre Arbeit haben für eine Kultur der europäischen Erinnerung an die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts?
Die Erforschung eines Raumes wie Kroatien verdeutlicht, dass die Gewalt des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust eine transnationale Geschichte ist, an der viele Gruppen beteiligt waren, und zwar mit unterschiedlichen Interessen und in unterschiedlichen Rollen. Eine wahrhaft europäische Erinnerungskultur muss die Erfahrungen in den verschiedenen Teilen Europas integrieren und wird sich der Tatsache stellen müssen, dass die historischen Erfahrungen in, sagen wir, Litauen, Serbien und Belgien zwar zusammenhängen, aber teils wenig gemein haben.
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus Ihrer Studie für die Entstehung – und die Prävention – von Bürgerkriegen in multiethnischen und multireligiösen Gesellschaften?
Während ich schrieb, brach der Bürgerkrieg in Syrien aus und ich fühlte mich an Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg erinnert: ein tyrannisches Regime, das es auf die Eskalation der Gewalt anlegt, eine Vielzahl bewaffneter Gruppen, ethnoreligiöse Spannungen in der Bevölkerung, sowie auswärtige Mächte mit unterschiedlichen Interessen. Der jugoslawische Fall bietet nur wenige optimistische Ausblicke: Gewalt scheint vor allem dann abzunehmen, wenn die Gewalttäter ihrer müde werden. Auf der anderen Seite war Jugoslawien das Land, in dem eine supranationale Partisanenbewegung es schaffte, das Land aus eigener Kraft zu befreien. Wenn man also über Gewaltprävention redet, sollte man nach Gruppen Ausschau halten, die gerade nicht die ethnoreligiösen Trennlinien abbilden, sondern quer zu diesen stehen, so marginal sie auch scheinen mögen. Tragisch ist, man sieht das am Beispiel Irak, dass die westlichen Ideen für eine Nachkriegsordnung die kriegsbedingte Ethnisierung meist zementieren, denn noch nie waren die Grenzen zwischen den Volksgruppen undurchlässiger als heute.