Ann Pettifor, wie beurteilen Sie die Bemühungen der EU unter Ursula von der Leyen, einen »Green New Deal« in ganz Europa umzusetzen – ist dies ein ernsthaftes Unterfangen oder eher als Beschwichtigung der Proteste gegen den Klimawandel zu verstehen?
Zuallererst möchte ich es begrüßen, dass ein europäischer Green Deal in Angriff genommen wird. Ursula von der Leyen und ihre EU-Kommissare haben einen mutigen Schritt getan und ein wichtiges Zeichen gesetzt, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Damit haben sie eine globale Führungsrolle in der Klimapolitik übernommen.
Doch auch wenn ihre Initiative zu begrüßen ist, hat der Plan in seiner jetzigen Form erhebliche Schwächen. Angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel die größte Sicherheitsbedrohung für die Europäer*innen seit dem letzten Weltkrieg ist, ist es enttäuschend, dass diejenigen, denen die künftige Sicherheit – und sogar das Überleben – Europas am Herzen liegt, im Kampf um die Finanzierung des Green Deal konservativeren Kräften unterlegen sind. Die Schlacht wurde von Mitte-Rechts-Politiker*innen gewonnen, denen die Interessen des wohlhabenden 1% mehr am Herzen liegen als unsere Zukunft. Es ist ihnen gelungen, jeden Versuch zu blockieren, den Europäischen Green Deal angemessen zu finanzieren. Stattdessen hat die EU-Führung nur einen kleinen Prozentsatz des jährlichen Einkommens Europas für diese drängende Aufgabe bereitgestellt. Bedauerlicherweise wird die EU weiterhin eine deflationäre Wirtschaftspolitik – also Sparmaßnahmen – unterstützen und einen deregulierten Finanzsektor fördern, der riesige Mengen an Krediten in den Sektor der fossilen Brennstoffe pumpt. Diese beiden politischen Vorhaben haben Europas Wähler*innen verärgert und dem Aufstieg der extremen Rechten auf dem ganzen Kontinent Vorschub geleistet. Dieser Aufstieg stellt nun eine enorme Herausforderung dar und blockiert die Fähigkeit der europäischen Politik, sich auf die ernsthafte Gefahr des Klimawandels zu fokussieren.
Immerhin wissen wir, dass Frau von der Leyen es sicherlich versucht hat. Sie ernannte einen engagierten Umweltschützer, Frans Timmermans, zum Kommissar für den Europäischen Green Deal, was sehr zu begrüßen ist, sie hat ihm aber gleichzeitig mit der Ernennung von Valdis Dombrovskis, der als Architekt der lettischen Austeritätspolitik bekannt ist, die Hände gebunden. Als Kommissar für eine »Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet« – aber offensichtlich nicht für das Ökosystem –, wird er den Umfang der für eine grüne Transformation notwendigen Finanzmittel beschränken. Die Hoffnungen auf eine radikale Umgestaltung der europäischen Wirtschaft weg von der Sucht nach Quantitativer Lockerung, also expansiver Geldpolitik, »easy money« (Niedrigzinspolitik) und fossilen Brennstoffen wurden vernichtet. Die politische Mitte und die Rechten haben dafür gesorgt, dass die notwendigen Finanzmittel für Frau von der Leyens grünen und »gerechten« Wandel einfach nicht zur Verfügung gestellt werden. Sie handelten übrigens nicht so unentschlossen, als es darum ging, dem privaten Finanzsektor nach der Großen Finanzkrise von 2007-2009 aus der Patsche zu helfen. Offenbar hat ein »Bail-Out« des Planeten keine Priorität für Europas mächtige Politiker*innen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie Maßnahmen zur Wiedererlangung der staatlichen Kontrolle über das nationale und internationale Währungssystem als eine der ersten gesellschaftlichen Aufgaben auf dem Weg zu einem Green New Deal. Nach der britischen Version des GND müssen alle Länder mehr Autonomie in der nationalen Geldpolitik (Zinssätze und Geldmengenkontrolle) und in der Fiskalpolitik (Staatsausgaben und Steuern) gewinnen. Wie kann diese Forderung im Rahmen eines globalisierten Finanzsystems umgesetzt werden?
Ja, meine Vorschläge sind ehrgeizig – und angesichts der großen Macht der globalen Banken und Silicon-Valley-Milliardäre mögen sie utopisch erscheinen. Das stimmt aber nicht. Wirklich utopisch ist die Vorstellung, dass Gesellschaften auf Dauer eine sich auf die »unsichtbare Hand« der globalen Märkte stützende Regierung tolerieren werden – unsichtbare und nicht rechenschaftspflichtige Marktakteure, die Austerität, soziale Unsicherheit, Arbeitslosigkeit und die Zerschlagung der öffentlichen Daseinsfürsorge für viele Menschen rechtfertigen und gleichzeitig Steueroasen, Kapitalmobilität und Kapitalgewinne für die Reichsten der Reichen verfechten. Wir wissen aus der europäischen Geschichte, dass diese Form von utopischer Theorie und Politik von der Bevölkerung auf längere Sicht nicht akzeptiert wird. Die aktuelle Wirtschaftspolitik wird den Ruf nach »starken Männern« (und Frauen) verstärken, die mit dem Versprechen antreten, sie vor solchen ungehemmten Marktkräften zu schützen. Ein solcher »Schutz« durch die extreme Rechte wird die Dinge nur noch schlimmer machen.
Deshalb müssen die fortschrittlichen Kräfte in ganz Europa den Menschen in Europa ein alternatives Wirtschaftsparadigma anbieten – eines, das sich in einem soliden und demokratischen makroökonomischen Rahmen bewegt. Der Green New Deal ist ein solcher Plan. Und wir wissen, dass er funktioniert, weil er schon einmal funktioniert hat – unter dem populärsten US-Präsidenten aller Zeiten, Franklin D. Roosevelt. Als zu Beginn der 1930er Jahre Teile Europas die Demokratie abschafften und sich Deflationspolitik, Sparmaßnahmen und dem Faschismus zuwandten, verteidigten die Vereinigten Staaten die Demokratie und verfolgten eine Wirtschafts- und Währungspolitik, die die Austeritätspolitik beendete, Arbeitslosigkeit wirkungsvoll bekämpfte und die notwendigen Finanzmittel zur Bewältigung der schwersten Umweltkrise jener Zeit aufbrachte: dem Dust Bowl.
Konzepte einer »Steady State Economy« wie das von Herman E. Daly sehen vor, dass die Wirtschaft nicht mehr physisch wächst, sondern sich auf einem nachhaltigen Konsumniveau und mit einer konstanten Bevölkerung entwickelt. Die zugrunde liegende These ist, dass Wirtschaftswachstum an sich bereits unwirtschaftlich geworden ist. Der neoliberale Konsens ist dagegen, dass Wohlstand nur durch stetiges Wachstum erzeugt werden kann. Wie lässt sich Ihrer Meinung nach die dominierende Vorgabe eines permanenten Wachstums überwinden?
Das Konzept des »Wachstums«, das erst in den 1960er Jahren von neoliberalen Ökonomen der OECD entwickelt wurde, weist einen exponentiellen Aspekt auf, der die Endlichkeit der Ressourcen – sowohl der Erde wie der Menschheit – ignoriert. Ich bin gegen die Verwendung des Begriffs, selbst in negierenden Varianten wie »Wachstumskritik« und »De-Growth«, weil weiterhin impliziert wird, dass eine Ausdehnung der Wirtschaft bis ins Unendliche möglich ist. Dennoch: Obgleich die Wirtschaft nicht exponentiell expandieren kann, werden Gesellschaften immer wirtschaftliche Aktivitäten durchführen.
Mit anderen Worten: Menschen ist es zu eigen, zu arbeiten, Dinge herzustellen und anzupflanzen und wir werden es immer tun. Die gegenwärtige Forschung macht uns jedoch klar, dass es Grenzen für die extraktive Natur unserer wirtschaftlichen Tätigkeit gibt. Das sind harte, physische Grenzen – Grenzen unseres Planeten –, innerhalb derer wir arbeiten müssen. Die gute Nachricht ist, dass menschliche Arbeit für den Ersatz von fossilen Energieträgern Sorge tragen wird: Die nachhaltige Wirtschaft der Zukunft wird also nicht nur arbeitsintensiv, sondern auch reich an Arbeitsplätzen sein.
Sie gehen davon aus, dass die meisten Menschen die notwendigen Maßnahmen zur Rettung unseres Planeten akzeptieren werden, sobald sie eine gute und verständliche Erklärung der Zusammenhänge zwischen Ökonomie und Ökologie erhalten. Eine klassische Idee der Aufklärung. Was ist der Grund für Ihren Optimismus – in Anbetracht der Tatsache, dass Makroökonomie und Geldtheorie nicht die verständlichsten Themen sind und dass der aktuelle politische Diskurs oft polarisiert und postfaktisch wirkt?
Die Quelle meines Optimismus ist zum einen die jüngere Geschichte und zum anderen die Wirkung, die eine aufgeklärte politische Führung entfalten kann. Ich weiß, dass wir das können, weil wir es schon einmal getan haben. Die wirtschaftliche Erholung der Vereinigten Staaten von der Großen Depression, die Roosevelts New Deal zu verdanken ist, ist ein eindrucksvolles historisches Beispiel. Das Bretton-Woods-Systems von 1945-1971 ist ebenfalls gut etablierte Geschichte und wird sowohl von orthodoxen als auch von keynesianischen Ökonom*innen als das »goldene Zeitalter« der Ökonomie akzeptiert. Wir wissen, dass das, was möglich war, erneut möglich sein wird.
Würden wir mit dem Einmarsch einer nuklear bewaffneten ausländischen Macht konfrontiert sein, wärem wir in kürzester Zeit handlungsfähig und würden die für die Sicherheit der Menschen in Europa erforderlichen Finanzmittel ohne Umschweife mobilisieren. Wenn wir das können, können wir auch die notwendigen Finanzmittel aufbringen, um der größten Bedrohung für die künftige Sicherheit der Menschen in Europa entgegenzutreten – dem Zusammenbruch der lebenserhaltenden Systeme, die für unser Überleben unerlässlich sind.