Woher kam die Idee, Freundschaft soziologisch zu untersuchen?
Die Idee kam mir auf der Universität. Ich hatte geglaubt zu beobachten, dass sich am Ende des Studiums immer häufiger Freundespaare zusammentun, um etwas zu unternehmen: eine Firma gründen, gemeinsam ins Ausland ziehen oder Ähnliches. Das entsprach nicht dem Bild, das ich vom Normallebensverlauf im Studium erworben hatte. Die ursprüngliche Beobachtung hat sich so nicht bestätigt, aber daraus wurde das Projekt zun Freundschaft und Fürsorge.
Sind Freundschaften heute wichtiger als Ehen oder Partnerschaften – oder werden sie es in Zukunft?
Für einen einstelligen Prozentsatz der in Deutschland Lebenden sind sie es schon heute. Und das wird vermutlich in der Tendenz zunehmen, weil die Verwandtschaftsnetzwerke auf Grund des demographischen Wandels dünner werden.
Können Sie sich vorstellen, sich von Ihrem besten Freund im Krankheitsfall pflegen zu lassen? Oder bitten Sie ihn nur um Hilfe beim Umzug oder bei der Renovierung?
Ich bin noch relativ jung und vergleichsweise gesund. Im vollen Ernst habe ich mir diese Frage, wenn ich ganz ehrlich bin, selbst noch nicht gestellt. Dafür habe ich andere gefragt. Leibesbezogene Pflege durch Freunde scheint vielen Menschen, auch älteren, Kopfschmerzen zu bereiten. Überhaupt ist die Vorstellung, gepflegt zu werden, den meisten nicht sehr angenehm. Wenn man sich das vorstellt, dann lieber als jemand, der Herr der Lage bleibt, und das heißt oft, als jemand, der Personal kommandiert. Das spiegelt sich auch in den Statistiken wieder. Leibesbezogene Pflege durch Freunde ist sehr selten. Es ist schwierig Menschen zu finden, die man dazu interviewen kann.
Nach Abschluss Ihres Buches – bei welchen Fragen zum Thema Freundschaft würden Sie sich wünschen, dass andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sie nun weiter erforschen?
Es gibt eine Reihe spannender Fragen. Völlig ungeklärt ist etwa wie sehr die Entstehung, Entwicklung und Fortdauer von Freundschaften von Familiennetzwerken, Partnerschaften und anderen Beziehungen abhängt. Es ist gut möglich, dass es mit der Freundschaft wie mit bestimmten Pflanzen ist: Sie gedeihen nur in einem bestimmten Ökosystem. Eine weitere spannende Frage wären seltene Freundschaftstypen: Freundschaften mit einer sexuellen Komponente etwa oder Freundschaften zwischen sozial sehr ungleichen Personen. Solche Beziehungen werden von der Soziologie bisher vernachlässigt. Und auch die Frage der leibesbezogenen Pflege halte ich nicht für abschließend geklärt: ein Projekt, das ich für sehr lohnenswert halte.
In Ihrem neuen Forschungsprojekt befassen Sie sich mit der Einsamkeit. Ergab sich das quasi zwangsläufig aus der Beschäftigung mit Freundschaft?
Nicht zwangsläufig, aber es lag doch nahe. Wenn man sich soziologisch mit sozialen Nahbeziehungen befasst, bemerkt man schnell, wie dünn das soziale Netz vieler Menschen heute ist. José de Ortega y Gasset hat einmal gesagt, wenn man seine Mitmenschen verstehen wolle, müsse man sie wie Schiffbrüchige betrachten. Ich denke, da ist insofern etwas dran, als die Frage, wer mich eigentlich braucht, heute viel wichtiger geworden ist, als die umgekehrte, nämlich, was mir jemanden nützt.