Die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla haben am 27. September 2016 einen Friedensvertrag unterzeichnet, der mehr als 50 Jahre Bürgerkrieg beenden sollte. In einer Volksabstimmung am 2. Oktober lehnte jedoch eine hauchdünne Mehrheit die Vereinbarung ab.
Die Demoskopen hatten fast einhellig eine deutliche Zustimmung zum Volksentscheid prognostiziert. Wie erklären Sie sich dieses Ergebnis?
Seitdem das Ergebnis des Referendums feststeht, wird viel darüber spekuliert, weshalb die Gegner des Abkommens die Mehrheit für sich gewinnen konnten. Auffällig ist, dass die Beteiligung an der Abstimmung mit 37,4 Prozent deutlich geringer war als sonst bei Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen, was angesichts der Tragweite der Entscheidung eher überrascht. Der hohe Anteil an Nichtwählern könnte bedeuten, dass es den Befürwortern nicht hinreichend gelungen ist, ihre Wählerschaft am Ende einer stark emotionalisierten Debatte zum Gang an die Urnen zu bewegen.
Weshalb ist das Friedensabkommen in Kolumbien so umstritten? Man sollte meinen, dass ein Friedensschluss in einem Land, das so lange unter der Gewalt leidet, auf breite Zustimmung stößt.
Der Zusammenhang zwischen Leidensdruck und Zustimmung zum Friedensvertrag zeigt sich in Kolumbien tatsächlich. In den vom Krieg am stärksten betroffenen Regionen haben die Menschen mit deutlicher Mehrheit für den Friedensvertrag gestimmt. Dabei handelt es sich überwiegend um periphere, dünn besiedelte ländliche Gebiete, die nicht nur von der Gewalt, sondern auch vom Gegensatz zwischen Großgrundbesitzern und Kleinbauern sowie von mangelnder Infrastruktur, prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen und teils extremer Armut geprägt sind. Diese Regionen hätten am stärksten von der Umsetzung des Abkommens profitiert – nicht nur wegen der Waffenruhe, sondern auch, weil sich die kolumbianische Regierung darin zur Vergabe von Land an Kleinbauern, zu Entwicklungsprogrammen und zur Bekämpfung von Armut und Hunger verpflichtet hatte.
Entschieden wurde die Abstimmung aber letztlich im stärker urbanisierten und dichter bevölkerten Zentrum Kolumbiens. Dort finden schon lange kaum noch Kampfhandlungen statt, und viele Menschen waren empfänglich für die stark emotionalisierte Gegenkampagne, die vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe angeführt wurde. Sie konzentrierte sich auf die Aufarbeitung und Amnestierung von Verbrechen der FARC und auf die geplante staatliche Förderung der Wiedereingliederung von deren Mitgliedern in das zivile Leben. Zu Unrecht wurde der Eindruck erweckt, die FARC-Mitglieder würden nach ihrer Entwaffnung pauschal amnestiert und für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen. Und das obwohl ähnliche Regelungen vor zehn Jahren bei der Demobilisierung der rechtsgerichteten paramilitärischen Organisationen galten, für die damals Uribe verantwortlich zeichnete.
Wie geht es denn jetzt weiter? Ist der Friedensprozess noch zu retten?
Sicher ist nur, dass keine der beiden Seiten ein klares Mandat erhalten hat. Die kolumbianische Gesellschaft ist gespalten. Aber die FARC hat erklärt, den Friedensprozess fortsetzen zu wollen, und Präsident Santos hat die Gegner des Abkommens zur Bildung eines „nationalen Paktes“ aufgerufen. Sogar Uribe hat seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit geäußert.
Es könnte also sein, dass nachverhandelt wird und dass die Gegner des Abkommens in die neuen Verhandlungen einbezogen werden?
Das scheint ein mögliches Szenario zu sein. Abgelehnt wurde ja nicht der Friedensprozess als solcher, sondern eben der konkrete Inhalt des Friedensvertrags. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass die kommenden Verhandlungsrunden zu einem Ergebnis führen. Wenn ein Hardliner wie Uribe mit am Tisch sitzt, dürfte es schwierig werden, eine neue Vereinbarung zu erzielen, die für die Mitglieder der FARC akzeptabel ist.
Was passiert, wenn die Verhandlungen und der Friedensprozess scheitern?
Derzeit scheint keiner der Verhandlungspartner Interesse an der Fortsetzung des Krieges zu haben. Langfristig könnte der aktuelle Schwebezustand aber dazu führen, dass nach und nach einzelne Verbände der FARC aus dem Friedensprozess ausscheren. Auch ist keineswegs gewährleistet, dass das Militär die Waffenruhe dauerhaft einhält.
Ist eine militärische Lösung des Konflikts denkbar?
Eine Wiederaufnahme der Kampfhandlungen wäre insbesondere für die Einwohner der bereits angesprochenen Konfliktregionen eine Katastrophe. Wie ich in meiner Studie zur Eigendynamik von Bürgerkriegen zeige, mündet ein Guerillakrieg wie in Kolumbien fast unvermeidlich in einen mit den Mittel des Terrors ausgetragenen Wettbewerb um die Kooperation der Zivilbevölkerung, von der der militärische Erfolg wesentlich abhängt. Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen sind in der Logik derartiger Konflikte gewissermaßen angelegt, zumeist handelt es sich bei der überwiegenden Mehrzahl der Opfer um Zivilisten. Selbst wenn es also der kolumbianischen Regierung gelänge, die FARC mit militärischen Mitteln zur Kapitulation zu zwingen, würde dieser Sieg einen hohen Preis fordern.